Dieser Beitrag ist in der Bauernzeitung in der 11. Woche erstmals in der Rubrik Unternehmen und Recht mit dem Titel „Ende einer Mitgliedschaft“ auf Seite 46 erschienen.
Im September 2023 hatte der Bundesfinanzhof (BFH) einen typischen Fall auf dem Tisch (IX R 19/21, vom 23.09.2023). 33 Jahre nach der „Wende“ ging es um Aufwendungen für den Gründungsanteil einer ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG). Ein Mitglied einer umgewandelten LPG, heute Agrargenossenschaft bzw. eG, begehrte die Anerkennung eines Veräußerungsverlustes aus der Kündigung seines Geschäftsanteiles. Am 08.02.2024 wurde das Urteil im Bundessteuerblatt veröffentlicht und ist somit für alle Finanzbeamten bindend.
Bereits im Finanzgerichtsverfahren wurde von der Klägerin vorgetragen, dass die Ermittlung des Veräußerungsgewinns bzw. –verlustes und die Verteilung auf die gekündigten Anteile rechtsfehlerhaft sei. Vom Thüringer Finanzgericht wurde diese Ansicht im Juni 2021 verworfen, doch die Steuerpflichtige ging in Revision beim Bundesfinanzhof in München.
Die Klage wurde insbesondere aus dem Kapitalerhöhungssteuergesetz (KapErhStG²) abgeleitet. Es handelte sich um die steuerliche Begleitung des Kapitalerhöhungsgesetz (KapErhG) im Jahr 1959. Während das KapErhG das Gesellschaftsrecht bei Kapitalerhöhungen regelte, wurden durch das KapErhStG die steuerlichen Konsequenzen der Umwandlung von Rücklagen aus Gesellschaftsmitteln bei Kapitalgesellschaften ab dem Jahr 1959 umfasst. Beide Gesetze betrafen jedoch dem Wortlaut nach nur Kapitalerhöhungen von Kapitalgesellschaften, insbesondere GmbHs und AGs. Die Idee der Klägerin war nun, die Regelung für die Kapitalgesellschaften auch für die Anteile an Genossenschaften anzuwenden, um so den festgesetzten Veräußerungsgewinn zu reduzieren.
Doch bevor es um die planwidrige Regelungslücken bei der Verteilung von Anschaffungskosten bei der Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln gehen soll, soll erst mal der entschiedene Fall dargestellt werden.
Im Jahr 1991 fand eine typische formwechselnde Umwandlung der LPG in eine Genossenschaft statt. Die 13 Mitglieder zeichneten jeweils einen Pflichtanteil mit einem Nennwert in Höhe von 1.000 DM. Im Jahr 2001 behielt die Genossenschaft von einer beschlossenen Gewinnausschüttung 1.488,70 EUR ein und stockte mit diesen Mitteln den ursprünglichen Anteil von 511,30 EUR auf 2.000,00 EUR auf. Im Jahr 2008 wandelte die Genossenschaft Rücklagen um und gewährte dem Mitglied weitere neun Anteile jeweils mit einem Wert von 2.000 EUR. Somit verfügte das Mitglied über zehn Anteile mit einem Geschäftsgutachten von 20.000 EUR.
Im Jahr 2013 kündigte das Mitglied einen Anteil, in 2015 und 2016 jeweils vier weitere Anteile. Danach verfügte das Gründungsmitglied nur noch über seinen sogenannten Gründungsanteil.
Für den Gründungsanteil hatte das Mitglied eine Anschaffungskosten-Ermittlung vorgelegt. Daraus ging hervor, dass im Zeitpunkt der Gründung im Sinne des DM-Bilanz-Gesetzes historische Anschaffungskosten für den Anteil des Mitglieds in Höhe von 392.294 EUR anzusetzen waren. Dies wurde im Wesentlichen auch durch das Finanzgericht anerkannt.
Kommen wir nun zu den allgemeinen Regelungen bei Geschäftsguthaben einer Genossenschaft. Seit dem Jahr 2006 werden Anteile einer Genossenschaft genauso behandelt wie Anteile einer Kapitalgesellschaft. Ist man mit mehr als einem Prozent beteiligt, wird der Veräußerungsgewinn gemäß den Regelungen den § 17 Einkommensteuergesetz besteuert, was in dem meisten Fällen zum Teileinkünfteverfahren bzw. zu einer Versteuerung von 60 % des Veräußerungsgewinns führt.
Üblicherweise sind bei der Ermittlung eines Veräußerungsgewinns immer die erhaltenen Leistungen den historisch fortgeschriebenen Anschaffungskosten gegenüberzustellen. Eine Besonderheit stellen jedoch die Umwandlungen von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im Jahr 1990/1991 dar. Im Fall einer solchen Umwandlung in eine Agrargenossenschaft waren in der Regel keine tatsächlichen Zahlungen geleistet worden. Ersatzweise konnte anstelle der Anschaffungskosten das Eigenkapital auf Basis der Equity-Methode ermittelt werden. Mit anderen Worten, es wurden Anschaffungskosten fingiert, die dem Anteil am Eigenkapital im Zeitpunkt der Umwandlung entsprachen.
In unserem Fall hatte das Mitglied also 396.641 EUR fiktiv für das ursprüngliche Geschäftsguthaben in Höhe von 1.000 DM aufgewendet. Im Laufe der Zeit kamen noch die Einzahlung bzw. Erhöhung auf 2.000 EUR dazu, so dass in Summe sich noch um 1.489 EUR erhöhte und Ausschüttungen im Zeitablauf in Höhe von 5.836 EUR abzuziehen waren. Summarisch ergab sich ein Saldo von 392.294 EUR für die Anschaffungskosten.
In seinem Urteil hatte der Bundesfinanzhof somit auch die Möglichkeit die Anschaffungskostenermittlung zu überprüfen. Dabei monierte er, wie schon das Finanzgericht, dass die Steuerpflichtigen die Anschaffungskosten aus einer Bilanz des Jahres 1994 durch eine Rückrechnung abgeleitet und nicht direkt auf das Eigenkapital auf den 01.07.1990 ermittelt wurden. Im Urteilsfall führte dies nochmal zu einer signifikanten Reduzierung der fiktiven Anschaffungskosten auf 196.371 EUR.
Doch zurück zum entschiedenen Einzelfall. Die Veräußerungsverluste für den Gründungsanteil machte das Genossenschaftsmitglied im Einspruchsverfahren geltend. Leider ließ die Satzung der Genossenschaft den Verkauf des Gründungsanteils nicht zu, da der erste Anteil wahrscheinlich als sogenannter Pflichtanteil ausgewiesen war. Da das Mitglied also nur noch über den notwendigen Pflichtanteil verfügte und diesen offensichtlich auch nicht übertragen wollte, musste eine andere Lösung her.
Insofern bestand für die Steuerpflichtige nur noch die Möglichkeit über einen Umweg, die Verluste zu nutzen. Diese Möglichkeit sollte das KapErhStG bieten. Denn das KapErhStG verteilte die ursprünglichen Anschaffungskosten auf alle Anteile nach einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln bei Kapitalgesellschaften. Hatte man also vor der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln zehn Anteile zu 1.000 EUR erworben und verfügte man nach der Kapitalerhöhung über 20 Anteile a 1.000 EUR, so wurden die Anschaffungskosten auf alle 20 Anteile verteilt. Also hatte man 500 EUR Anschaffungskosten für jeden Anteil.
Dieses Verfahren sollte jetzt auch für die Genossenschaftsanteile angewendet werden. In unserem Fall wollte die Steuerpflichtige für jeden der zehn Anteile die historischen Anschaffungskosten der Ursprungsanteils verteilen bzw. für jeden Anteil Anschaffungskosten in Höhe von 39.229 EUR geltend machen. Bei einem Veräußerungserlös von 2.000 EUR pro Anteil wäre so die Besteuerung vermieden worden.
Da im KapErhStG aber nur Kapitalgesellschaften als Anwendungsfall aufgelistet waren, wurde im Verfahren vorgetragen, dass es sich hier um eine verfassungswidrige Regelungslücke handelt und aus Gleichbehandlungsgrundsätzen auch Geschäftsguthaben von Genossenschaften, die gleiche Behandlung zustehen würde.
Der Bundesfinanzhof verwarf jedoch - wie zuvor schon das Finanzgericht - die quotale Aufteilung der Anschaffungskosten. Eine Anwendung von § 3 Kapitalerhaltungssteuergesetzes auf Genossenschaftsanteile lehnten die Richter ab. Die Anschaffungskosten für den zuerst angeschafften Anteil aufgewandten Anschaffungskosten blieben auch mit diesem Anteil verknüpft. Die Regelung des KapErhStG betreffe nur Kapitalgesellschaften. Eine Analogie oder teleologische Erweiterung der Regelung dahingehend, dass diese auch Genossenschaften erfasst, lehnt der Bundesfinanzhof ab. Der Bundesfinanzhof entwickelt dies aus dem Text und der Gesetzesbegründung des KapErhStG. Eine Regelungslücke konnte er nicht erkennen, da keine Absicht des Gesetzgebers zu erkennen war, Genossenschaften zu begünstigen.
Somit können wir nun festhalten, dass es für ehemalige LPG-Mitglieder darum geht, dass man den richtigen Anteil bzw. den sogenannten Pflichtanteil veräußern kann. Wenn man also mehrere Genossenschaftsanteile hat, kann man grundsätzlich selbst bestimmen, welcher Anteil veräußert werden soll. Aber es darf keine Satzungshemmnisse, die einem dies verbieten, oder die Satzung muss angepasst werden. Weiterhin sollten die Steuerpflichtigen und ihre Berater das Urteil zur Herleitung der Anschaffungskosten 1990/1991 lesen und die Vorgaben in eine Anschaffungskostenermittlung einarbeiten, um nicht beim Finanzamt oder vor Gericht zu scheitern.
Zusätzlich wurde in dem Urteil zur Rückwirkung der Besteuerung durch die Einführung des § 17 Abs. 7 Einkommensteuergesetz bzw. zur Steuerpflicht seit 2006 Stellung genommen. Die Regelung entfalte keine echte Rückwirkung und ist somit verfassungskonform. Insbesondere waren im vorliegenden Fall die weiteren neun Anteile erst in 2008 erworben worden und insofern keine von einem Vertrauensschutz umfassten Wertzuwächse eingetreten.
In einem weiteren BFH-Verfahren (IX R 5/18) zu den Anschaffungskosten von LPG / Genossenschaftsanteilen geht es um einen ähnlichen Fall. Dieser Fall wurde zwar im Jahr 2020 schon vom BFH entschieden, aber wegen mangelhafter Tatsachenfeststellungen wieder an das Thüringer Finanzgericht zurückverwiesen. Inzwischen ist wohl ein Urteil in Gotha gefällt worden, aber das Ganze ist durch die eingelegte Revision zum zweiten Mal zum Bundesfinanzhof nach München unterwegs. Leider wurde das Finanzgerichturteil noch nicht veröffentlicht.
²Amtliche Bezeichnung: Gesetz über steuerrechtliche Maßnahmen bei der Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln und bei Überlassung von eigenen Aktien an Arbeitnehmer im Bundesgesetzblatt am 23.12.1959 veröffentlicht, ab S. 789ff.